26.05.2012

Der Dichter und die Chefin des Weltwährungsfonds


Günter Grass, Dichter und Nobelpreisträger, veröffentlichte ein neues Gedicht, diesmal „Griechenland und Europas Schande“ gewidmet. Und schon erhebt sich erneut das dumpfe Geschrei der Stänkerer im Lande, um Grass herabzusetzen.

Europas Schande
Dem Chaos nah, weil dem Markt nicht gerecht,
bist fern Du dem Land, das die Wiege Dir lieh.
Was mit der Seele gesucht, gefunden Dir galt,
wird abgetan nun, unter Schrottwert taxiert.
Als Schuldner nackt an den Pranger gestellt, leidet ein Land,
dem Dank zu schulden Dir Redensart war.
Zur Armut verurteiltes Land, dessen Reichtum
gepflegt Museen schmückt: von Dir gehütete Beute.
Die mit der Waffen Gewalt das inselgesegnete Land
heimgesucht, trugen zur Uniform Hölderlin im Tornister.
Kaum noch geduldetes Land, dessen Obristen von Dir
einst als Bündnispartner geduldet wurden.
Rechtloses Land, dem der Rechthaber Macht
den Gürtel enger und enger schnallt.
Dir trotzend trägt Antigone Schwarz und landesweit
kleidet Trauer das Volk, dessen Gast Du gewesen.
Außer Landes jedoch hat dem Krösus verwandtes Gefolge
alles, was gülden glänzt gehortet in Deinen Tresoren.
Sauf endlich, sauf! schreien der Kommissare Claqueure,
doch zornig gibt Sokrates Dir den Becher randvoll zurück.
Verfluchen im Chor, was eigen Dir ist, werden die Götter,
deren Olymp zu enteignen Dein Wille verlangt.
Geistlos verkümmern wirst Du ohne das Land,
dessen Geist Dich, Europa, erdachte.

Christine Lagarde, die Chefin des IWF, äußerte sich zeitgleich zur gleichen Thematik in einem Bericht des britischen "Guardian" (It's payback time: don't expect sympathy – Lagarde to Greeks) wie folgt:
 „Statt dauernd auf den Straßen zu demonstrieren, laut herumzujammern und ständig andere für die eigene Misere haftbar zu machen, sollten die Griechen lieber ihren Staat in Ordnung bringen und ‚sich gegenseitig helfen‘. Sie sollten endlich ‚Verantwortung übernehmen‘ und vor allem ‚Steuern zahlen‘ statt ihr Geld in die Schweiz zu transferieren. Sie habe mehr Mitleid mit afrikanischen Kindern, die kaum Bildung und Erziehung erfahren, die sich mangelhaft ernähren können und sich einen Raum, einen Stuhl oder einen Tisch mit allen anderen teilen müssen, als mit den griechischen. Zumal die Not hausgemacht ist. Die Eltern seien nun mal dafür zuständig. Dass die Kinder die Suppe jetzt auslöffeln müssten, die ihnen ihre Väter und Großväter eingebrockt hätten, sei nun mal Fakt.“
Die soziopathische Sprache dieser Frau findet in unseren Medien weder Kritik noch Analyse. Sie ist wohlgelitten.
Selbst zahlt Christine Lagarde, Chefin des IWF, keine Steuern, "obwohl sie mit ihrem Jahresgehalt in Höhe von 467.940 Dollar und ihren zusätzlichen 83.760 US-Dollar Spesenpauschale mehr verdient als der US-Präsident (der sein Einkommen versteuern muss)" - Quelle: TELEPOLIS-heise online.

25.05.2012

Neoliberale Stadtpolitik: "Spalte und herrsche!"


Interview mit dem marxistischen US-Ökonomen David Harvey über die Geschichte des Kapitalismus als eine Abfolge von Immobilienblasen, das merkwürdige Weiterleben des Neoliberalismus und die Stadt als Ausgangspunkt für eine neue Bewegung: „Überall auf der Welt seien es die städtischen Unterschichten, die am meisten unter Sozialabbau, steigenden Mieten und Verdrängung litten. Gleichzeitig sieht er in neuen urbanen Bewegungen, zum Beispiel in Lateinamerika, den stärksten Gegner des Neoliberalismus. Aber der Zusammenhang zwischen Stadt und Krise geht darüber hinaus: Eine fortschreitende Urbanisierung war seiner Meinung nach eine der Voraussetzungen dafür, dass der Kapitalismus bisher seine Krisen überwinden konnte - ein Prozess, der nun ins Stocken gerät ...“ Die Legitimität dieses Systems beruhte auf der Erwartung, dass es Wirtschaftswachstum geben und der Wohlstand dann von oben nach unten durchsickern würde (trickle down). Die Menschen erkennen, dass das nicht oder nicht mehr der Fall ist. Die Legitimität des Neoliberalismus besteht nur noch darin, alle vorstellbaren gesellschaftlichen Alternativen zu diskreditieren. Wie Margret Thatcher immer wieder gesagt hat: "Es gibt keine Alternative." … Ich sehe unsere Aufgabe darin, auf den Ruinen der kapitalistischen Urbanisierung eine sozialere Stadt aufzubauen, eine Stadt, die wieder als eine politische Einheit fungiert. Zu dieser Strategie gehört, Bündnisse zu schmieden zwischen den verschiedenen urbanen Bevölkerungsgruppen, die auf die eine oder andere Weise unter den Verhältnissen leiden. … Wir alle zusammen produzieren die Stadt, also sollten wir auch entscheiden dürfen, wie die Stadt aussehen soll.

24.05.2012

Antikapitalismus


Occupy-Aktionstage in Frankfurt: „Der Grund der Festnahme, so steht es im Kurzbericht der Polizei: Antikapitalismus. Ende vergangener Woche wurden hunderte Menschen nicht aufgrund einer Straftat, sondern wegen ihrer politischen Haltung in Gewahrsam genommen. Sie befanden sich auf dem Weg nach Frankfurt am Main, zu den „Blockupy“-Protesten. …
Die Grundrechte wurden kurzerhand für Tausende außer Kraft gesetzt, weil man Gewalt von einzelnen Mitgliedern des Schwarzen Blocks fürchtete. Das ist nichts anderes als politische Sippenhaft. …
In Frankfurt zeigte sich die Postdemokratie von ihrer illiberalen, autoritären Seite. Und so wurde eine friedliche Spontandemonstration geräumt – nur wenige Meter von der Paulskirche, in der 1848 die deutsche Demokratie ihren ersten Anlauf nahm. Symbolischer geht es kaum. Viele Veranstaltungen konnten gar nicht stattfinden. …
Die Grundrechte wurden kurzerhand für Tausende außer Kraft gesetzt, weil man Gewalt von einzelnen Mitgliedern des Schwarzen Blocks fürchtete. Das ist nichts anderes als politische Sippenhaft.
Nicht zuletzt deshalb hatte man den Ausnahmezustand inszeniert, weil die Aktivisten von Blockupy ihre Ziele klug gewählt hatten. Sie protestierten nicht gegen die Regierung, sondern gegen ihre eigentlichen Herren: Gegen die Banken und vor allem gegen die neuralgische Pumpstation der europäischen Geldströme, ohne die die Zirkulation auf den Finanzmärkten und die Zahlungsfähigkeit der Staaten akut gefährdet ist – die Europäische Zentralbank. …“
So äußerte sich der Soziologe Oliver Nachtwey auf www.freitag.de/politik/1221-wir-gehen-nicht-mehr-weg

AKW-GAU-Risiko höher als angenommen


Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für Chemie haben berechnet, dass das Risiko für einen AKW-GAU sehr viel höher liegt, als man bislang glaubte.
„Aufgrund der nach ihren Berechnungen deutlich erhöhten Wahrscheinlichkeit eines GAUs fordern die Wissenschaftler eine Neubewertung des Risikos, das von AKWs ausgeht. Dazu müssten der Reaktortyp, die Wartung, die Sicherheitskultur und andere menschliche Faktoren, Sicherheitsverbesserungen durch neue Techniken, der Zustand der Reaktorumhüllung, das höhere Risiko von Anlagen mit mehreren Reaktoren, die Wahrscheinlichkeit von Naturkatastrophen und die Gefährdung durch Flugzeugabstürze, Sabotage und Terrorangriffe berücksichtigt werden. Überdacht werden müsste auch, ab wann eine Kontamination als gefährlich einzustufen ist.
Alle 10 bis 20 Jahre könnten statistisch GAUs wie in Tschernobyl oder Fukushima auftreten, wobei mit einem Fallout bis zu 2000 Kilometer gerechnet werden müsste. … Die Hälfte des austretenden Cäsium-137 würde weiter als 1000 Kilometer, ein Viertel weiter als 2000 Kilometer transportiert werden. … Eine Verstrahlung von 40 Kilobecquerel pro Quadratmeter gilt nach der Internationalen Atomenergiebehörde IAEA als ‚radioaktiv kontaminiert‘. 28 Millionen Menschen wären durch einen GAU in Westeuropa betroffen.“
Zur Studie: „Atmospheric Chemistry and Physics - An Interactive Open Access Journal of the European Geosciences Union“: http://www.atmos-chem-phys.net/12/4245/2012/acp-12-4245-2012.html

22.05.2012

NATO beschließt auf Chicago-Gipfel »Smart Defence« (»Intelligente Verteidigung«)


„… Wenn ein solcher Gipfel in einer Stadt wie Chicago stattfindet, wird nicht nur deutlich, mit welcher Brutalität diese Ungleichheiten auf globalem Level aufrechterhalten werden, sondern ermöglicht auch, einen Blick darauf zu werfen, wie die Ungleichheit auf globaler Ebene sich auf lokaler wiederholt. Chicago zeigt, dass Armut und Mangel überall zuhause sind, nicht zuletzt im Herzen der entwickelten Welt. …
Die Nato steht all dem nicht teilnahmslos und unparteiisch gegenüber, schließlich stellt sie den militärischen Arm eines polit-ökonomischen Projekts, das ohne sie gar nicht möglich wäre. Die neoliberale Globalisierung und die sozialen Verwerfungen, die mit ihr einhergehen, kommen nicht ohne Gewalt und Drohpotenzial aus. „Die unsichtbare Hand des Marktes wird nie ohne die unsichtbare Faust auskommen“ so der Freihandelsadvokat Thomas Friedman. „McDonald's braucht McDonnell Douglas an seiner Seite – das Luftfahrt-Unternehmen, das den Kampfjet F-15 produziert. Die verborgene Faust, die die Welt für die Technologien aus dem Silicon Valley sichert, trägt die Namen US Army, Air Force, Navy und Marine Corps.“ …
Die Sterblichkeitsrate Chicagos entspricht bei Kindern von Afroamerikanern derjenigen der West Bank; die Lebenserwartung von Schwarzen liegt in ganz Illinois knapp unter der in Ägypten und knapp über derjenigen in Usbekistan. Über ein Viertel aller Einwohner Chicagos haben keine Krankenversicherung, unter den schwarzen Männern der Stadt hat jeder fünfte keine Arbeit und jeder dritte lebt in Armut. …
Je ärmer die Gegend, desto gewalttätiger – je wohlhabender, desto sicherer. Wie die Gipfeltreffen von G8 und Nato, so ist das herrschende System an sich nicht dafür vorgesehen, mehr Menschen am vorhandenen Wohlstand teilhaben zu lassen, sondern verfolgt vielmehr den Zweck, den bereits existierenden Wohlstand zu wahren und zu beschützen. Armut, Gewalt und Kriminalität werden nicht gelindert und bekämpft. Stattdessen werden die Armen kriminalisiert und in Schach gehalten. …
Der britische Journalist Gary Younge lebt in den USA und schreibt Kolumnen und Feuilletonbeiträge für „The Guardian“, Großbritannien.

16.05.2012

„Für einen Pakt aller Demokraten gegen Finanz-Zyniker und Spekulanten“


Zitate aus dem schriftlichen Entwurf einer Rede zum „Dresdner Frühjahrsgespräch“ von Albrecht Müller, Volkswirt und Publizist, von 1987 bis 1994 für die SPD Mitglied des Deutschen Bundestages, Autor und Herausgeber der „NachDenkSeiten“.
(Müllers These: TINA* sei ein faschistisches Politikrezept aus Pinochets Chile der 70/80er Jahre. Es brauche heute einen Pakt aller Demokraten gegen Finanz-Zyniker und Spekulanten.)
„… dass die soziale Sicherheit vielen genommen ist und die demokratische Willensbildung verkümmert, diese Entwicklung ist nicht vom Himmel gefallen, sie ist nicht Gott gegeben, sondern politisch gewollt und so nach dem Muster der neoliberalen Theorie gestaltet worden.
Diese Ideologie und ihre Rezepte sind von nahezu allen politischen Kräften übernommen worden. Das ist erstaunlich. Ein so schwachsinniges Konzept hat die Agenda 2010 geprägt und vorher schon die Politik von Helmut Kohl und Graf Lambsdorff. Die Konzepte waren in Chile schon im Jahr 1973 ausprobiert worden. Das war lange vor der deutschen Vereinigung … Die neoliberale Ideologie wurde zuerst mit Hilfe und unter dem Schutz des Diktators Pinochet angewandt – mit allem, was heute auch dazu gehört: Privatisierung, Deregulierung, Verkauf öffentlichen Eigentums, Kommerzialisierung der Altersvorsorge, Entlassung öffentlicher Bediensteter.
Bei uns wurde die politische Konstellation in die ähnliche Richtung getrieben. Angela Merkel und Wolfgang Schäuble suggerieren, dass es zu ihrer Art von Wirtschafts-, Finanz- und Europapolitik keine Alternative gäbe … der Fiskalpakt ist eine Art Sargnagel für den Gestaltungswillen von Demokraten in Deutschland und Europa. Wir können dann nämlich wählen, wen und was wir wollen, die so genannten Sparprogramme werden ganz woanders entschieden, nicht von den gewählten Parlamenten, nicht von uns.
Die Führungen von SPD und Grünen haben sich dem neoliberal geprägten Trend gebeugt. Sie weigern sich, ein dagegen stehendes alternatives Bündnis überhaupt in den Blick zu nehmen …
Das anständige Deutschland muss sich zusammenfinden.“
Quelle: „Nachdenkseiten“: http://www.nachdenkseiten.de/?p=13253

* TINA = „There Is No Alternative“, Slogan der konservativen britischen Premierministerin Margaret Thatcher, 1980