Krieg schafft Mord, Totschlag, Not, Elend, Zerstörung,
Verzweiflung – wer weiß das nicht.
Neuerdings werden Kriegen wieder evolutionsbedingte oder
gar positive Eigenschaften zugeschrieben. Die neue, im Grunde uralte These
heißt, sie seien unvermeidbar, ja sie hätten sogar den menschheitsgeschichtlichen,
gesellschaftlichen Fortschritt befördert. Und die Zahl der durch sie zu
verantwortenden Toten hätte sogar abgenommen. Sogar wissenschaftlich Unverdächtige
verleihen derzeit solchen Thesen ihre Sympathie. Fakten, glauben sie, sprächen
dafür.
So meint der englische Historiker Christopher Clark in
seinem Buch „Die Schlafwandler - Wie Europa in den Ersten Weltkrieg zog“, dieser
Weltkrieg wäre nicht durch eine bewusste Willensentscheidung macht- und
finanzimperialer Kräfte herbeigewünscht, sondern seine Verhinderung verschlafen
worden. Kriege passieren demnach, weil der Mensch evolutionsbedingt fahrlässig handelt,
dies sei biologistisch rationalisierbar.
Der englische Historiker Ian Morris hält Krieg als „Triebfeder
des Fortschritts“ für notwendig. Er behauptet: „Er hat die Menschheit – auf
lange Sicht – sicherer und reicher gemacht. Krieg ist die Hölle; nur dass die
Alternativen – wieder auf lange Sicht betrachtet – schlimmer gewesen wären.“
Frieden scheint keine denkbare Triebfeder für Fortschritt zu
sein. Er wird anscheinend assoziiert mit Stagnation, Trägheit, Faulheit,
Schläfrigkeit, vielleicht sogar mit Rückschritt und Untergang.
Friedliche Menschen sind nicht fähig zu verbessernden
Maßnahmen im menschlichen Zusammenleben? Das schien die übergroße Masse der
Kriegsbegeisterten geglaubt zu haben, als sie in das große Massenmorden des 1.
Weltkriegs marschierte, darunter Künstler und Intellektuelle. Wohl auch die
Befürworter des 2. Dass ihr Geist „schlief“, kann man behaupten. Auch, dass es
keine Entscheider gab, die ihn wohl durchdacht einkalkulierten, weil ihr „Traum“
von Endsieg und Weltmacht und Reichtum sie dazu „trieb“?
Morris behauptet weiter: „… größeren Gesellschaften wiederum
konnten nur funktionieren, wenn ihre Herrscher stärkere Staaten entwickelten,
und mit das Erste, wofür diese Staaten sorgen mussten, wollten sie an der Macht
bleiben, war die Unterdrückung der Gewalt innerhalb der Gesellschaft.“ Größer
werdende Staatsgebilde „müssen“ demzufolge „größer“ werden, was nur durch
Kriege zu bewerkstelligen sei. Für kapitalistisch-imperiale Staaten mag das
stimmen, nicht aber für die ihre Gesellschaft bildenden Menschen. Und Gewaltunterdrückung
im Innern bereitet Gewaltausübung der Menschen außerhalb der Grenzen vor, sonst
wären sie kriegsmüde. Aber Morris legt nach: „… sorgte … der Krieg für Staaten
und Staaten für Frieden.“ So wird Friedenswunsch zum Kriegsgrund, Krieg zur
Grundnotwendigkeit der „Menschheitsentwicklung“, unter der die Durchsetzung ökonomischer
Interessen zu verstehen ist, über die man schweigt, um bioevolutionär
argumentieren zu können.
Krieg als „Vater“ menschlichen Fortschritts? Wer hier nach
der „Mutter“ fragt, kommt nicht weiter. Ist die „Trieb“feder Krieg vielleicht
als „Geschlechtsakt“, gar als „Orgasmus“ menschlicher Lebensart zu verstehen?
Irren all jene, die in ihm den atavistischen Rückfall in Gewalttätigkeit sehen?
Irren all jene, die darin eine Entscheidung von Bevölkerungskreisen sehen, die ihre
Macht- und Gewinnansprüche erweitern wollen?
Kriege wird es immer geben, heißt es. Das wird so sein, solange
Krieg nicht zum Friedensgrund und Frieden als Grundnotwendigkeit einer menschlichen
Menschheitsentwicklung angesehen wird. Aber so denken Menschen nicht, denen
anderes wichtiger ist.
Kriege alten Stils wird es vermutlich nicht mehr geben. Künftig
werden digitale Funktionen dafür sorgen, dass potentielle Gegner (wessen?) handlungsunfähig
gemacht werden, bevor sie dazu in der Lage sind. Damit wird gesellschaftlicher Fortschritt
nicht mehr richtungsoffen sein. Der militärisch Stärkere entscheidet über seine
Ausrichtung – in jeder Hinsicht.